Das erste Mal

Schulheft_8327

Ich liebe ja bekanntermaßen erste Male.
Auch wenn man sich an die meisten gar nicht mehr erinnert.

Ich habe wirklich keine Ahnung, wer mir den ersten uns gab und wie ich es empfunden habe. Damals war ich auch noch verdammt jung. Daran erinnere ich mich auf jeden Fall noch. Ich war elf. Doch ob es der Junge war, in den ich mich bei meinem Aufenthalt der Kinderlandverschickung auf Sylt verliebte, oder der Klassenkamerad, mit dem ich doch glatt in paar Wochen „ging“, das weiß ich einfach nicht mehr.

Zum Glück erinnere ich mich noch an den ersten Sex. So senil bin ich dann doch noch nicht.

Ich glaube, wir haben deshalb so eine schöne Erinnerung an unsere Kindheit, weil diese voller erster Male war. Doch leider nutzt sich alles ab.

Dieses Gefühl, als ich meinen ersten Roman fertiggestellt hatte, war unbeschreiblich. Ich kann mich noch genau daran erinnern. Ich joggte mal wieder, als mir bewusst wurde, dass ich es tatsächlich geschafft hatte. In diesem Moment fühlte es sich an, als würde ich fliegen. Bei jedem weitern Roman hoffte ich auf dieses erhabene Gefühl, was sich nie mehr einstellt.

Als Kind war man ja vollkommen begeistert, das erste Eis zu essen oder die erste Cola zu trinken. Das erste Mal auf dem Jahrmarkt mit dem Fahrgeschäft für „Große“ fahren zu dürfen. Der erste Schultag war auch aufregend. Der Zweite erstaunlich schon gar nicht mehr.

Mein Mann und ich sind darum bemüht ständig etwas abhaken zu können, was wir noch nie gemeinsam getan haben. Was bei über dreißig Jahren gemeinsamen Leben schwer werden kann. Doch es findet sich tatsächlich immer wieder etwas Neues.

Dabei haben wir alle immer wiederkehrend die Chance auf erste Male. Und das ganz ohne unser zutun.

In der ersten Woche des neuen Jahres gibt es so viele Gelegenheiten.

Als ich meinen Kollegen am Mittwoch einen schönen ersten Feierabend im Jahr wünschte, kam Verwunderung zurück. Bisher hatte sich wohl keiner darum Gedanken gemacht.

Heute ist dann also der erste Freitag. Das erste Freitags-Gefühl, verbunden mit der Vorstellung des ersten Wochenendes.

Für mich heute besonders: mein erster Urlaubstag.

Das ist insofern ganz besonders, da ich in dieser Form seit über zwanzig Jahren keinen Urlaub mehr hatte. Also Urlaub, wie ihn sich jeder vorstellt: ein bezahlter Tag, oder noch besser: bezahlte Tage.

Wenn ich Urlaub mache – was ja im Grunde nie vorkommt, da ich immer arbeite – muss ich doppelt zahlen. Was einfach dem geschuldet ist, dass ich im Urlaub kein Geld verdiene. Deshalb arbeite ich ja auch immer.

Ich mag den Jahresanfang nicht nur seiner ersten Male wegen. Ich stelle mir das Jahr wie ein neues Heft vor. Ein Heft mit 365 Seiten. Das Heft ist sauber und rein. Geradezu unschuldig. Noch kein Knick, kein Kaffeefleck und kein einziger Fehler.

Jedes Mal nehme ich mir vor, mit diesen neuen, jungfräulichen Seiten besonders sorgsam umzugehen. Doch ist der erste Knick drin, scheint es vorbei mit den Vorsätzen. Ich ärger mich zwar und schwöre, dass ich zukünftig sorgsamer umgehen werde, aber nur solange bis der erste Kaffeefleck eine Seite vollkommen ruiniert. Ich kann natürlich mit einem Tintenkiller den ersten Rechtschreibfehler korrigieren, doch nach einiger Zeit sieht man den Fehler wieder durchschimmern.

Ab der Mitte ist dann alles egal. Alle Vorsätze bereits abgelegt und für vollkommen schwachsinnig und vor allem überflüssig verworfen. Bis die letzten Seiten von 365 anbrechen. Nur noch wenige sind übrig. Ab da ist es schon egal und man gibt sich erst recht keine Mühe mehr. Zumal man weiß, und das mit ganz bestimmter Sicherheit, dass es bald ein neues Heft mit 365 Tagen geben wird. Alle vier Jahre wird uns sogar eine Seite geschenkt.

Wenn ich zurückblicke und mir das Regal mit all den abgelegten Heften ansehe, dann stören mich die Flecken und Fehler gar nicht mehr. Manche Hefte sehen recht mitgenommen aus, geradezu verschlissen. Doch gerade diese sind in meiner Erinnerung die liebsten.

In diesem Sinn wünsche ich euch allen ein wundervolles erstes Wochenende. Genießt es!

5 Kommentare zu “Das erste Mal

  1. „Ich stelle mir das Jahr wie ein neues Heft vor. Ein Heft mit 365 Seiten. Das Heft ist sauber und rein. Geradezu unschuldig. Noch kein Knick, kein Kaffeefleck und kein einziger Fehler.“ … die Stelle gefällt mir besonders gut…
    Ich wünsche dir einen schönen Urlaub und fleckenfreie Tage dazu.
    Und, du hast Recht, denn ohne diese ganzen Flecken, wäre das Jahr einfach „aalglatt“ und vielleicht sogar etwas öde.

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