Darauf bereitet einen keiner vor

Und doch betrifft es uns alle … mehr oder weniger.

Wir alle haben Eltern. Und in dem günstigen Fall, dass wir ein gutes Verhältnis zu ihnen haben, werden wir irgendwann an den Punkt kommen, wo wir uns um sie kümmern müssen

Grundsätzlich kann ich mich glücklich schätzen. Denn meine Eltern sind verhältnismäßig fit. Obwohl sie wirklich schon alt sind – mein Vater 92, meine Mutter 88 – leben sie noch allein und kommen ohne fremde Hilfe aus.

Sieht man davon ab, dass inzwischen einmal in der Woche eine Haushaltshilfe kommt, die von der Krankenkasse bezahlt wird und einmal in der Woche eine Frau von einer Pflegestation vorbeischaut und die Tabletten meiner Mutter für eine Woche in einen Spender sortiert.

Mein Vater hat die Pflege meiner Mutter übernommen. Sie ist demenzkrank. Was anfänglich schleichend einsetzte, wird nun leider immer schlimmer. Noch weiß sie, wer wir sind und sie weiß auch, wer mein Vater ist.
Wobei er mir des öfteren erzählte, dass er nicht sicher ist, ob sie weiß, dass er ihr Mann ist.

Meiner Mutter machte eine extreme Wesensveränderung durch.

Das ist normal bei Demenzkranken. Doch meist ist es so, dass die Erkrankung dazu führt, dass die Betroffenen aggressiv werden.
Meine Mutter war hingegen nie besonders freundlich. Ich will ich hier nicht weiter in die tiefe gehen. Aber es führte dazu, dass ich kein besonders gutes Verhältnis zu ihr hatte.

Das hat sich komplett geändert. Sie ist sehr lieb und anhänglich geworden. Zuvor war sie immer grantig mit allem und glaubte, dass die gesamte Welt sich gegen sie verschworen hat. Nun ist sie dankbar für alles.

Sie muss drei mal in der Woche zur Dialyse. Am Anfang war das eine Katastrophe. Sie haderte mit der Situation und jammerte ohne unterlass. Jetzt ist die demütig und dankbar, dass sie dort hingehen darf, weil es ihr Leben verlängert.

Andererseits erzählt mir mein Vater, dass sie manches Mal derart deprimiert ist über ihren Zustand – es kommt durchaus vor, dass die mitbekommt, wie vergesslich sie geworden ist – und zu ihm sagt, sie würde in die Elbe gehen, um sich umzubringen.

Das ist für alle schwer.

Immer wieder sage ich meinem Vater, dass er Hilfe bekommen kann. Im schlimmsten Fall müsste meine Mutter eben stationär in einer Einrichtung untergebracht werden.

„Ich lebe mein ganzes Leben mit ihr zusammen, da gebe ich sie auf den letzten Metern nicht einfach ab, wie ein altes Stück Möbel.“

Sie sind in diesem Jahr 65 Jahre verheiratet.

Ich kann das gut verstehen.

Die gesamte Situation belastet mich sehr. Ich weiß, dass meine Mutter aufgrund ihrer Krankheit (die Nierenerkrankung) nicht mehr lange durchhalten wird. Ich bin ohnehin erstaunt, wie lange sie es bisher geschafft hat.

Nur, was wird dann aus meinem Vater?

Er hat Durchhaltevermögen und den Vorsatz 115 Jahre alt zu werden. Er möchte gern erleben, wie ich in Rente gehe, damit ich noch mehr Zeit mit ihm verbringen kann. Das ist einerseits sehr schön, andererseits aber ängstig es mich auch.

Aus einem Telefonat am Tag, am Anfang der Pandemie, sind inzwischen drei bis vier geworden. Wenn ich ihn nicht einmal in der Woche sehe, wird er traurig und vermisst mich sehr.

Das alles ist durchaus schön, aber auf der anderen Seite habe ich auch ein Leben, in dem meine Eltern keine so wichtige Rolle spielen.

Ich denke, diese Gedanken kennen alle, die in so einer Situation sind. Schade nur, dass uns niemand darauf vorbereitet hat. Aber vielleicht ist das auch gar nicht möglich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich als junger Mensch dem überhaupt Bedeutung beigemessen hätte.