Da war ich schon

Und es war beim ersten Mal bereits schlimm.

Es gibt Momente in meinem Leben, da halte ich kurz inne. Erstaunt. Überrascht. Manchmal sogar entsetzt stelle ich fest, wie die Zeit an mir vorbei gerast ist. Manchmal mit dem Eindruck einige Jahre vollkommen verpasst zu haben. Mir fehlt die Erinnerung.

Ich sehe mir Fotos an und erkenne mich selbst kaum. Die junge Frau bin doch nicht etwa ich?

Je weiter jedoch die Jahre zurückliegen, desto mehr kommen auch die Erinnerungen zurück. Das ist wohl bereits eine Erscheinung des Alters. Sobald ich nicht mehr weiß, was vor fünf Minuten war, sollte ich mir Gedanken machen.

Ich resümiere mein Leben. Gehe die Jahrzehnte durch.
Tatsächlich habe ich nur wenige Erinnerungen an meine Kindheit und die ersten 10 Jahre. Einzelne Ereignisse drängen sich in den Vordergrund. Doch leider bleibt die negative Erfahrung der Schulzeit, die für mich grauenvoll war. Als ein Kind mit Schreib-Lese-Schwäche kein Spaß.

Aus Unwissenheit wurde ich nach der zweiten Klasse zurückgestuft und musste sie wiederholen. Natürlich war ich nicht sitzengeblieben, das war damals in den frühen 1970er Jahren bereits so. Meine Klassenkameraden hatten jedoch eine andere Vorstellung und so wurde ich lange gehänselt. So nannte man das damals. Mobbing war noch nicht erfunden.

Mein 10. Geburtstag war toll. Ich fühlte mich groß. Beinah erwachsen. Was ich nicht wusste, dass nun der Spaß und er Welpenschutz vorbei war. Meine Mutter meinte, die Kindheit sei nun abgeschlossen und der Ernst des Leben erwarte mich. So lernte ich den Haushalt und alles was damit zu tun hat. Geschadet hat es mir nicht, aber eine angenehme Kindheit stellt man sich auch anders vor.

Die nächsten 10 Jahre waren lang. Ein Umstand, der wohl jeder aus dieser Zeit kennt. Aufgrund nicht vorhandener Erfahrung quälen sich die Jahre dahin. Das schlimmste aller Jahre war mein 18. War der 16. Geburtstag noch großartig, denn endlich hatte ich mehr Freiheiten und abends durfte ich sogar bis 22 Uhr wegbleiben, so enttäuschend war dann der 17.

Die Ausgehzeit verlängerte sich um winzige 30 Minuten. Dafür war meine Mutter entsetzt, dass ich mit 17 noch immer nicht vernünftig, und vor allem in einem angemessenen Tempo, Kartoffeln schälen konnte. Natürlich mit einem normalen Küchenmesser, nicht mit Sparschäler. So ein neumodischer Kram kam für meine Mutter nicht in Frage. Meine Mutter meinte, so würde ich nie einen Mann finden. Sie fand es eine Schande, dass Mädchen nicht mehr, wie zu ihrer Zeit, für ein Jahr in einen Haushalt geschickt wurden, um dort quasi als Haus-Sklavin ohne Lohn alles zu lernen, was Frauen in den 1950er Jahren wohl zu wissen hatten.

Mit 20 wurde es besser. Ich zog aus. Überbrückte mit allerlei Arbeit die Zeit, bis ich endlich studieren konnte. Mit Ende 20 dann der erste richtige Job nach dem Studium. Ich sehnte mich darauf endlich 30 zu werden. Ich war davon überzeugt, dass mit 30 das Leben richtig losgehen würde.

Und so war es auch. Mit Anfang 30 machte ich mich selbstständig. Seither läuft mein Leben so, wie ich es mir immer erträumt hatte. Mit Höhen und Tiefen, die einen deutlichen Ausschlag haben. Aber nur wer auch einmal am Boden lag, weiß wie gut sich ein Höhenflug anfühlt. Es hat mich gelehrt Demut zu haben. Dafür bin ich dankbar.

Rückblickend ist im Grunde jedes Jahrzehnt auf seine Weise gut gewesen. Die Erinnerung an die frühen Jahre sind mir jedoch ein Grauen. Mir bleiben leider nicht die Positiven. Je älter ich werde, umso schlimmer kommt das Negative aus dieser Zeit zurück.

Ich würde nie wieder zurück wollen. Ich weiß auch, dass ich es nicht besser machen würde. Alle meine Fehler, alle Niederschläge haben mich schließlich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.